Mittwoch, 6. August 2008

Bigstack-Strategie: Eine Einführung

No-Limit Hold'em (NLHE) ist DAS Pokerspiel dieser Zeit. In TV-Shows und Büchern, sogar in Filmen ist die Rede davon.

Ein Grund für diesen Erfolg ist vielleicht die Komplexität und enorme Bandbreite, die einem Spieler diese Variante des Spiels bietet. Mike Sexton, ein bekannter Pokerspieler und -moderator, prägte beispielsweise den Satz: „No-Limit Texas Hold'em takes a minute to learn and a lifetime to master“, mit anderen Worten: Die Regeln zu verstehen ist ein Leichtes und braucht nur wenige Minuten, das Spiel in all seinen strategischen Feinheiten zu beherrschen dauert hingegen ein Leben lang.

Bislang sind wir hier nur auf die Shortstack-Strategie eingegangen, also darauf, wie man mit einem kleinen Stack optimal spielt, um maximalen Gewinn zu erzielen und gleichzeitig die Komplexität der Entscheidungen zu minimieren. Damit sollte jeder Leser die ersten Erfahrungen mit NL Hold'em gesammelt haben und in der Lage sein, sich mit den Konzepten für ein erfolgreiches Bigstack-Spiel auseinanderzusetzen. Wir nennen das die BSS, die Bigstack-Strategie.

Mehr Geld, mehr Entscheidungen

Mit der No-Limit-Hold'em-Shortstack-Strategie wird dem Spieler eine einfache und verständliche Strategie geboten, wie man nach klaren Vorgaben Gewinn an einem NLHE-Tisch machen kann. Man hatte immer eine Art „Anleitung zum Erfolg“ zur Verfügung und somit einen einfachen und sicheren Einstieg in die Variante. Für das Spiel mit einem großen Stack ist diese konkrete Anleitung nicht umsetzbar. Der Grund hierfür ist der deutlich größere Stack und die Möglichkeiten, die er mit sich bringt.

  • Als Bigstack kauft man sich immer mit der maximalen Anzahl an Big Blinds – in der Regel 100 BB – in ein Spiel ein.

Möchte man die Bigstack-Strategie an einem NL-Tisch mit $2/$4 anwenden, kauft man sich mit dem maximal möglichen Betrag von insgesamt $400 in das Spiel ein (daher begründet sich auch die Bezeichnung als „NL400“).

Dadurch, dass man nun mit einem großen Stack spielt, erweitert sich effektiv die Anzahl an Setzrunden. Während man als Spieler der Shortstack-Strategie meistens vor oder auf dem Flop all-in spielte, ist dies bei der BSS nicht der Fall.

Die Entscheidungen selbst nehmen in ihrer Anzahl nicht nur zu, sondern werden zudem deutlich komplexer, da im Gegensatz zur SSS nun auch die Option „Call“ in Frage kommen kann.

Für das Spiel ist es also erforderlich, eine Hand von Anfang (Preflop) bis Ende (River) durchdenken zu können. Die Pots werden größer, die Entscheidungen komplexer.

Keine Begrenzung

No-Limit, das bedeutet „keine Begrenzung“. Setzgrößen sind nach oben hin offen, sodass in jeder Hand zu jedem Zeitpunkt alles gesetzt werden kann. Während man beim Fixed-Limit nur einen bestimmten, festgesetzten Betrag pro Runde gewinnen oder verlieren konnte, kann eine falsche Entscheidung beim NL den gesamten Stack kosten.

Diese Eigenheit des No-Limit-Bereichs ist der Grund, warum man als unerfahrener Spieler eher auf die Shortstack-Strategie oder die Fixed-Limit-Variante zurückgreifen sollte. Beschäftigt man sich aber genauer mit der Materie und gewinnt an Erfahrung, eröffnen sich gerade mit einem großen Stack viele Möglichkeiten, von dem schlechten Spiel der Kontrahenten zu profitieren.

Risiko versus Gewinn

Da beim No-Limit Hold'em die Setzgrößen variabel sind und die Pots in der Regel von Setzrunde zu Setzrunde größer werden, ist es wichtig, stets das einzugehende Risiko mit dem möglichen Gewinn zu vergleichen.

Ein Gutshot-Draw kann beispielsweise unter bestimmten Voraussetzungen profitabel gespielt werden, ein Flushdraw vielleicht nicht. Alles eine Sache der Potgröße, des zu bringenden Betrages und der verbleibenden Stack-Größen. Jede Hand braucht ein bestimmtes, individuelles Verhältnis zwischen diesen Faktoren, um gewinnbringend gespielt werden zu können.

Dieses Verhältnis muss immer wieder aufs Neue bestimmt werden können, damit man ein Winning Player sein kann.

„Es kommt darauf an.“

Wohl einer der meist verwendeten Sätze eines erfolgreichen No-Limit-Spielers ist daher: „Es kommt darauf an.“ In nahezu jeder professionellen Handdiskussion oder -anweisung aus dem NL-Bereich ist eine Einschränkung, wie „meistens“ oder „in der Regel“ enthalten. Nehmen wir als Beispiel an, wir halten auf dem Turn eine absolute Trash-Hand und alle verbleibenden Spieler checken zu uns in später Position. Meistens lässt sich mit Trash-Händen kein Geld machen und man sollte sie passen – meistens! Ein gut getimter Bluff lässt uns aber vielleicht den Pot gewinnen, auch ohne eine starke Hand zu halten. Ob ein Bluff nun wiederrum wirklich eine gute Idee ist, hängt hier nicht von der eigenen Hand ab – sondern es kommt darauf an, mit welcher Art Gegner wir es zu tun haben, wie groß unser Stack im Verhältnis zum Pot ist oder auch wie das Setzverhalten zuvor war. Eine Entscheidung muss also immer an die aktuelle Situation angepasst werden.

  • Ein guter Bigstack-Spieler hinterfragt Informationen.

Eine erste wichtige Eigenschaft eines gewinnorientierten Spielers ist also, dass er ständig hinterfragt. Er versucht, in seine Entscheidungen alle Informationen einzubeziehen, die ihm zur Verfügung stehen. Sei es die eigene Position, das Setzverhalten der Gegner, das eigene Image, mögliche Tells oder anderes, jede Information wird aufgenommen und beeinflusst das Resultat und ergibt eine – hoffentlich richtige – Entscheidung. Als SSS-Spieler konnten viele dieser Faktoren noch weitgehend vernachlässigt werden.

Richtige Entscheidungen

Das führt uns auch zu einem weiteren, wichtigen Konzept für No-Limit Hold'em: Es geht nicht darum, die meisten Pots zu gewinnen, die Gegner am besten lesen zu können oder gar der beste Bluffer zu sein – es geht immer darum, richtige Entscheidungen zu treffen.

  • Bei NLHE geht es darum, richtige Entscheidungen zu treffen.

Trifft man selbst mehrheitlich korrekte Entscheidungen, während die Gegner dies oftmals nicht tun, spielt man profitables Poker. Ein Spieler gewinnt an einem Abend vielleicht beispielswiese zehn kleinere Pots, weil wir unsere Hand passen mussten. Wir hingegen gewinnen nur drei, dafür aber überdurchschnittlich große Pots, da unser Gegner nicht in der Lage war, sich von seiner Hand zu trennen, und uns den Abend mit einem Gewinn beenden lässt. Wir haben zwar weitaus weniger Pots gewonnen, aber korrekte Entscheidungen getroffen, und darauf kommt es an. Man befindet sich immer in einer Art Wettlauf: Wer auf Dauer mehr richtige Entscheidungen trifft als die Mehrheit aller anderen, der gewinnt.

Wir haben dementsprechend nur dann eine Chance zu gewinnen, wenn unsere Gegner Fehler machen. Daran schließt sich ein weiteres Konzept an: Aggression ist der Schlüssel zu erfolgreichem Poker!

Aggression ist ein wichtiger Schlüssel

Nehmen wir an, unser Spiel würde nur darauf basieren, zu checken oder zu callen. Der einzige Weg eine Hand zu gewinnen, wäre bis zum Showdown zu gehen und die beste Hand zu halten. Nehmen wir nun aber die Optionen „Bet“ und „Raise“ hinzu, haben wir zwei Wege zu gewinnen: Entweder wir halten am Ende die beste Hand oder unsere Gegner passen ihre (vielleicht bessere) Hand, bevor es überhaupt zum Showdown kommt.

Durch einen Bet oder Raise wird Druck auf die Gegner ausgeübt, d. h., sie sind gezwungen, eine Entscheidung zu treffen und eventuell einen Fehler zu begehen, indem sie mit einer schlechteren Hand mitgehen oder eine bessere aufgeben.

  • Gewinnorientierte Spieler setzen ihre Gegner unter Druck, sodass diese Fehler begehen können.

Diesen Druck aufzubauen ist manchmal keine leichte Sache. Gerade die eigene Position spielt dabei eine wichtige Rolle.

Der Wert der Position

Spielt man „in Position“, ist also der zuletzt agierende Spieler in einer Hand, hat man drei entscheidende Vorteile, die es leichter machen, Druck auf die Gegner auszuüben:

  1. Man weiß, wie die Spieler zuvor agiert haben.
  2. Man hat als Letzter die Chance zu bluffen.
  3. Es ist leichter, Gewinne zu maximieren.

Großer Stack, große Möglichkeiten

Ein weiteres entscheidendes Druckmittel ist die Größe der Stacks. Generell gilt:

  • Spieler mit großen Stacks können leichter Druck erzeugen.

Was bei der Shortstack-Strategie noch als Nachteil galt, ist nun als Bigstack ein Vorteil. Spielt ein Spieler mit vielen Chips gegen einen zweiten Spieler mit weniger Chips, ist es für ihn leicht, Druck aufzubauen. Bei jeder Aktion muss der Spieler mit den wenigen Chips davon ausgehen, um seinen gesamten Stack zu spielen, da der andere mehr Chips zu Verfügung hat. Der Spieler mit den vielen Chips spielt dementsprechend nur um einen Bruchteil seines Stacks, weshalb es schwer ist, ihn unter Druck zu setzen.

Man sollte sich daher stets mit dem maximalen Betrag an einen Tisch setzen, um in den Genuss aller Vorteile der Bigstack-Strategie zu kommen.

Die eigene Hand planen

Hat man einmal alle bzw. möglichst viele NLHE-Konzepte verinnerlicht, müssen diese zusammengeführt werden. Diese Zusammenführung ist Teil eines Denkprozesses, der stets im Voraus durchgegangen werden sollte. Man holt so praktisch die Zukunft (also das, was in den späteren Setzrunden passieren kann) in die Gegenwart und versucht sich so vor unangenehmen Situationen, in denen man am Ende sogar falsche Entscheidungen treffen könnte, zu schützen.

Es gilt also, die eigene Hand richtig zu planen und mit Bedacht zu spielen. Diese Aussage erscheint offensichtlich, wird aber oftmals unterschätzt oder vernachlässigt.

  • No-Limit-Hold'em-Hände werden im Voraus geplant.

Jede Aktion, die man tätigt, sollte Teil eines Plans sein. Fragen wie „Wie reagiere ich auf einen Raise?“ oder „Was mache ich auf dem Turn, wenn alle zu mir checken?“ sollten beantwortet sein, bevor man einen Betrag in die Mitte des Tisches setzt. Fehler können so bereits im Voraus ausgeschlossen werden.

Natürlich sind für das Planen und Durchführen einer Hand gewisse strategische Grundlagen vonnöten. Das Spiel vor und auf dem Flop sowie Turn und River erfordert jeweils differenzierte Betrachtungen, die in den folgenden Artikeln zur NLHE-Bigstack-Strategie (BSS) genauer erläutert und dargestellt werden.